Auf dem Rücken der Privatsphäre

Manchmal lese ich die Zeitung und denke, ich bin im falschen Film. Gerade bezüglich der Bildungspolitik wird derzeit kein gutes Haar an r2g gelassen. Doch nun geht es zu weit.

Vorab: Am 16.06. veröffentlichte Lutz Prager in der OTZ einen Kommentar mit der Überschrift „Auf dem Rücken der Erzieher“ bezüglich der Entkommunalisierung der Grundschulhorte. Dieser Kommentar erzürnte mich sehr. Ein Auszug daraus: „Eine besonders pikante Rolle spielte dabei der Jenaer Landtagsabgeordnete Torsten Wolf (Linke). Er sagte, dass man im Land vor der Übernahme nicht gewusst habe, dass es in Jena so viele „überqualifizierte“ Erzieher gebe. Dumm nur, dass gerade der Herr Landtagsabgeordnete sein Kind von solchem überqualifizierten Personal in der Schule betreuen lässt. Und dass er als ehemaliger GEW-Chef nichts davon wusste, also ehrlich, für so dumm kann man die Leute nicht verkaufen.“ Nun, über das fehlende gendern (es heißt ErzieherInnen oder ähnliches) rege ich mich schon lange nicht mehr auf. Trotzdem habe ich gekocht vor Wut.

Das, was die rot-rot-grüne Landesregierung bezüglich der Entkommunalisierung der Horte geschafft hat, empfinde ich als keinen Skandal. Es ist nicht alles reibungslos gelaufen, zugegeben. Was mir eigentlich missfällt, ist der Kommentar von Herrn Prager.

Von welchen Erzieher* innen das Kind von Herrn Wolf betreut wird, spielt in der politischen  Auseinandersetzung meines Erachtens nach keinerlei Rolle. Dienstliches und privates gehört voneinander getrennt, in jedem Beruf. Es ist unmöglich und höchst fragwürdig, dass Herr Prager die Familie von Herrn Wolf mit in die Diskussion hineinzieht.  Auch für Journalismus gibt es in diesem Land eine Grenze, nämlich die des Anstands und Respekts. Herr Wolf ist ein vom Volk direkt gewählter Abgeordneter. Auch er hat es verdient, mit Respekt behandelt zu werden. Dass sich immer weniger Menschen für Mandate und Ämter finden, wundert mich nach solchen Angriffen nicht mehr. Fakt ist: Herr Wolf hat sich vorbildlich für die Belange der Erzieher* innen eingesetzt, gerade als ehemaliger GEW-Vorsitzender. Ihn noch indirekt als dumm hinzustellen, steht weder Herrn Prager noch sonst irgendeinem anderen Menschen zu. Was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem anderen zu!

Nun, was war da eigentlich los bei den Horten. Schauen wir auf die „alte“ Landesregierung zurück. Diese startete ein Modellprojekt. Die Kommunen konnten die Grundschulhorte und damit auch das Personal im Rahmen dieses Projektes in ihre Trägerschaft überführen. Ein Modellprojekt kann auch schiefgehen, dann muss man es beenden. Ja, in Städten wie Erfurt, Weimar und Jena  hat die Kommunalisierung scheinbar gut funktioniert. Trotzdem wurde das Projekt von r2g eingestellt. Es war nicht rechtskonform und hätte auch von einer CDUgeführten Regierung beendet werden müssen. Nun ist aber gerade r2g an der Reihe und die Regierung hat sich der Aufgabe gestellt. Keiner konnte wissen, dass die Vorgängerregierung nicht für das eventuelle Ende des Modellprojektes vorgesorgt hatte, es nicht einmal bedacht hatte.

Für die Erzieher* innen bedeutet die Rückführung zum Land keinen Weltuntergang. Im Gegenteil. Alle wurden unbefristet eingestellt. Vorher waren befristete Verträge bei den Kommunen üblich. Alle  behalten ihre Erfahrungsstufen und müssen nicht, wie bei einer Neueinstellung üblich, bei Erfahrungsstufe 1 beginnen. Die Kosten der Zentralen Versorgungskasse, die sonst die Kommunen und Kreise tragen müssten, werden vom Land komplett übernommen. Und nun doch:  Beschäftigte mit Hochschulabschluss werden von der S8 in die E8 überführt, wenn der Schulträger bei der Einstellung die Qualifikation überprüft hat. Wenn Herr Prager in seinem Kommentar titelt „Auf dem Rücken der Erzieher“, frage ich mich also ehrlich, was er meint.

Ich gebe zu, dass der Prozess sehr lange gedauert hat und die Erzieher* innen lange im Unklaren gelassen worden. Das lag vordergründig daran, dass bis zur Unterschrift der Personalüberleitungsverträge nicht das Land der Arbeitgeber war und deshalb kein Recht hatte, die Verträge einzusehen. Wenn also Landtagsabgeordneter Torsten Wolf sagt, dass er nicht von der großen Zahl der Hochschulabsolvent* innen unter den Erzieher* innen wusste, hat er vollkommen Recht. Es war nicht einsehbar. Es ist nun eine gute Lösung gefunden worden, die aber leider noch keinen Eingang in die Berichterstattung der OTZ gefunden hat.

2016-06-18 11.29.42

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