Klassenfahrt ist kein Urlaub
Ich war letzte Woche fünf Tage mit meiner Klasse auf Abschlussfahrt in England. Oft hörte ich, als ich dies erzählte, den Kommentar „Lehrer haben halt bezahlten Urlaub.“ Durch die neuen Beantragungsrichtlinien für Klassenfahrten in Thüringen wird tatsächlich der Anschein erzeugt, Klassenfahrten wären Privatvergnügen. Nicht mehr genehmigt werden nämlich Fahrten, die lediglich touristischen Charakter haben. Als hätten das Lehrer je gemacht. Die neue Richtlinie ändert an dem Programm für Klassenfahrten per se eigentlich nichts. Erinnert ihr euch an Klassenfahrten, bei denen ihr nicht irgendetwas gelernt habt, nicht in irgendeinem Museum gewesen seid, die keinen Bildungscharakter hatte? Ich nicht. Weder als Schüler, noch als Lehrer. Lernen am anderen Ort wird bei mir immer groß geschrieben. Aber Klassenfahrten sind eben auch kein Zuckerschlecken. Einigen Lehrern bietet die neue Richtlinie die perfekte Ausrede, um eben nicht mehr mit den Schülern fahren zu müssen. Denn auf Klassenfahrt passiert so einiges…Das waren einige unserer „Lehrerhighlights“ in fünf Tagen England:
- Auf der Hinfahrt war der Busfahrer mit dem Bus nicht vertraut. Mehrmals hielt er auf dem Standstreifen der Autobahn, stieg aus (es war dunkel), ging ohne Warnweste um den Bus, drückte den Hauptschalter (Busbeleuchtung erlosch) und startete komplett neu. Die Reaktion der Schüler*innen könnt ihr euch vorstellen.
- In einer englischen Stadt liefen wir 3km an der Uferpromenade entlang. Am Bus angekommen, fehlten zwei Schüler*innen. Sie hatten ein Foto gemacht und sich der falschen Gruppe angeschlossen. Als sie das bemerkten, gingen sie zum Ausgangspunkt zurück und riefen mich an. Ich sprintete 3km zurück und holte sie ab. Mein Herz schlug bis zum Hals.
- Ein Schüler rauchte im Bus E-Zigarette. Daraufhin durchsuchte ich die gesamte Gruppe (über 50 Schüler*innen) jedes Mal vor dem Betreten des Busses.
- Im Musical waren Ferngläser an der Rückseite der Lehnen angebracht. Wohin die Schüler damit bei den weiblichen Darstellern schauten, ist euch sicher klar.
- Die Klippenwanderung musste wegen dichten Nebels ausfallen. Nun denkt euch mal spontan etwas Neues aus.
- Lieblingseinkaufsziel der Schüler*innen war Primark. Immer und immer wieder belehrte ich sie darüber, dass Arbeiter*innen an Shirts, die 3 Pfund kosten, nichts verdienen können. Fair Trade geht anders.
- Am Meer, einige Schüler*innen hatten noch nie das Meer gesehen und freuten sich sowas von herrlich, beschlossen Schüler*innen spontan zu schwimmen, in Klamotten. Dass wir danach noch eine lange Busfahrt vor uns hatten, war ihnen nicht so klar. Dass Salzwasser stinkt und nicht so toll aussieht beim Trocknen, auch nicht.
- Auf der Fähre, einige Schüler*innen sind noch nie mit einem Schiff gefahren, wurde einigen schlecht. Entladen haben sie sich nicht auf der Fähre sondern später im Bus.
- An einer Raststätte auf der Rückfahrt wollte ein Bus betrunkener und bekiffter Belgier einen Schüler grundlos verprügeln und konnten nur mit Mühe zurückgehalten werden.
Natürlich gab es noch unzählige Dinge, die andere Lehrer*innen auch kennen (verlorene Geldbörsen, Zickenkrieg, Heimweh, …).
Trotzdem, es war eine schöne Fahrt, auf der alle viel lernten. Wir sahen Sehenswürdigkeiten aus dem Englischlehrbuch face-to-face. Wir verbesserten unser Englisch. Wir lernten den britischen Lebensstil kennen. Wir sahen ein Musical. Wir lernten uns an fremden Orten zu orientieren. Wir lernten den Umgang mit Geld usw. usf. Und mal ehrlich, an was erinnert ihr euch, wenn ihr an eure Schulzeit zurückdenkt? Klar, an die Klassenfahrten. Es war eine unvergessliche Woche, in der der Spaß, die Freude über das Erlebte und das Schöne überwog.
Meine Kolleginnen und ich werden auch nächstes Jahr wieder fahren, um am anderen Ort mit den Schülerinnen zu lernen.