Macht etwas aus eurem Leben – Gedanken zur Jugendweihe

Letzte Woche Samstag hatte ich dir Ehre, zwei Jugendweihen durch meine Festrede mitzugestalten. Die Jugendweihe ist nach wie vor ein großer Tag für die Schüler  – endlich erwachsen. Der Jugendweiheverein Ostthüringen unter der Schirmherrschaft von Manuela Seydewitz organiserte zwei rundum gelungene und angemessene Veranstaltungen, die behutsam sowohl auf die Jugendlichen als auch auf die Erwachsenen abgestimmt waren. An dieser Stelle mein großes Kompliment – alles im Ehrenamt. Nachdenklich bin ich aber im Nachhinein darüber, dass auch hier wieder sozial schwache Kinder ausgeschlossen sind. Sie können sich im Normalfall weder die Feierstunde noch die Kleidung für den großen Tag leisten, von einem Fest für die Familie ganz zu schweigen. Das ist schade, denn die Symbolträchtigkeit und Wichtigkeit dieses Tages ist gerade bei uns enorm.

Meine Festrede zur Jugendweihe lesen Sie hier …

Bist du erst groß, dann siehst du ein, wie schön es war, ein Kind zu sein.

Liebe Jugendliche, liebe Eltern, Großeltern, Geschwister, Freunde, Lehrer, liebe Gäste.

Dieser Tag ist ein ganz besonderer für euch. Ihr Jugendlichen steht im Mittelpunkt. Wochen und Monate habt ihr dem heutigen Datum aufgeregt entgegengeblickt, Vorbereitungen getroffen, die Vorfreude genossen und sicher eine gewisse Aufregung verspürt. Lehnt euch etwas zurück und entspannt euch. Denn nun ist er endlich da, der Tag eurer Jugendweihe. Ihr seht alle toll aus. Ich freue mich, heute, an diesem besonderen Tag, bei euch sein zu dürfen.

Was wird sich ab heute für euch verändern? Ich muss euch aus eigener Erfahrung leider etwas enttäuschen, eigentlich gar nicht so viel. Viele von euch freuen sich heute sicherlich auf eine schöne Feier und viele Geschenke, gerne auch in Form von ein wenig Kleingeld. Aber das ist nicht das entscheidende. Die Jugendweihe ist in erster Linie ein besonderer Schritt auf dem langen Weg des Erwachsenwerdens. Eure Eltern werden ab jetzt vielleicht versuchen, weniger für euch und mehr mit euch zu entscheiden, um eure eigene Verantwortung zu stärken.

Liebe Eltern und Familienmitglieder,

heute sitzen sie vor Ihnen, Ihre Kinder und Enkel, die Sie vor gar nicht allzu langer Zeit auf dieser Welt begrüßt haben, denen Sie doch erst vor kurzem das Schleifen binden beigebracht haben, die doch erst vor wenigen Jahren stolz mit der Zuckertüte begannen, die Schule unsicher zu machen, und die nun heute symbolisch in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen werden sollen. Nicht wenige werden heute ein Tränchen der Rührung verdrücken, denn nach wie vor ist die Jugendweihe etwas ganz Besonderes, ein Tag, an den man sich zurückerinnern wird.

Ja, liebe Jugendliche, auch die meisten eurer Eltern erinnern sich sicherlich noch sehr gut an die eigene Jugendweihe. Genauso wie ihr hatten sie sich herausgeputzt. Sie hatten den Kopf voller Träume und verrückter Ideen und sicher auch voller Unsinn. Die Pubertät ist eine schwierige Zeit, für beide Seiten. Ihr als Jugendliche wollt herausfinden, wer ihr seid.

Das ist gut so! Lasst euch dabei nicht entmutigen. Ihr seid Menschen und habt die Fähigkeit, euch eures Verstandes zu bedienen, also in eurer Sprache, euer Hirn einzuschalten, zu denken. Lasst euch bloß nicht verbiegen. Niemand hat das Recht, euch zu sagen, wie ihr sein oder eben nicht sein dürft. Es liegt allein in eurer Hand. Auch Cliquen, coole Freunde oder Mitschüler sollen euch nicht davon abhalten, euch selbst auszuprobieren. Glänzt mit euren Ideen und Meinungen, egal was gerade „in“ ist. Vielleicht erntet ihr auch einmal das ein oder andere Schmunzeln oder den ein oder anderen kritischen Blick der Erwachsenen, wenn der Rock mal wieder viel zu kurz, der Liedstrich viel zu schwarz oder die Frisur mehr als kreativ ist. Das gehört dazu. Wichtig ist, dass ihr euch wohl fühlt und zwar genau so, wie ihr gerade seid. Eure Eltern und eure Familie werden euch dabei immer mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Das klingt nach totaler Freiheit. Soll es auch. Jedoch gibt es Einschränkungen. Natürlich habt ihr euch, wie alle anderen Menschen auch, an Recht und Gesetz zu halten. Dazu gehören übrigens auch die Regeln, die eure Eltern mit euch vereinbart haben, auch wenn sie manchmal eine bittere Pille sind. Doch keiner will euch etwas Böses. Wenn eure Eltern euch Regeln und Grenzen setzen, tun sie das, weil sie euch gerne haben, euch beschützen wollen und Angst um euch haben. Sie wollen euch nicht ärgern, sondern zeigen euch damit nur, wie lieb sie euch haben, wie wertvoll ihr ihnen seid. Und wenn ihr mehr Freiheiten haben möchtet, gehört Vertrauen dazu. Das muss man sich erarbeiten. Wenn man ständig Regeln bricht, nur um zu zeigen, dass man seinen eigenen Kopf hat, kann man nur wenig Entgegenkommen erwarten. Erwachsener wäre es doch die Regeln einzuhalten und ab und an Vorschläge zu machen, wie Regeln geändert werden könnten. Ihr werdet heute in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen, probiert es also einmal mit der erwachsenen Variante.

 

Erwachsen sein heißt auch, die Grenzen meiner eigenen Freiheit zu kennen. Meine Freiheit endet genau da, wo die Freiheit eines anderen beginnt. Ich kann es nicht mit meiner eignen Freiheit rechtfertigen, wenn ich über jemanden herziehe, jemanden fertig mache, jemanden auslache, jemanden systematisch so ärgere, dass er oder sie sich gemobbt fühlt. Das hat nichts, aber auch gar nichts mehr mit Freiheit zu tun, sondern ist kindisch, gemein und eine Straftat. Schaut bei so etwas nicht weg, macht nicht mit, sondern verhaltet euch erwachsen und solidarisiert euch mit dem Opfer. Meinungsverschiedenheiten, der Vergleich mit anderen, Sympathie oder eben keine Sympathie gehören zur Pubertät dazu. Aber Mobbing auszuüben, sei es in der realen oder virtuellen Welt, zeigt den anderen nur, was man für einen Charakter hat. Wir sind alle Menschen, egal ob dünn oder dick, weiß oder schwarz, gläubig oder nichtgläubig, Volksmusik- oder Metallfan. Und wir haben alle ein Recht darauf, dass mit uns respektvoll umgegangen wird. Kein Mensch ist mehr oder weniger wert als der andere. Lasst euch das von keinem einreden, sondern benutzt euren eigenen Verstand. Euer Kopf ist nicht nur dafür da, um Haare darauf zu züchten, auch wenn diese heute ganz besonders schön zurecht gemacht sind. Seid Teil unserer Zivilgesellschaft und steht für Menschlichkeit ein. Schaut nicht weg, wenn jemand mit anderen nicht menschlich umgeht, sondern zeigt Mut. „Die Welt ist viel zu gefährlich, um darin zu leben – nicht wegen der Menschen, die Böses tun, sondern wegen der Menschen, die daneben stehen und sie gewähren lassen”, sagte schon Albert Einstein. Lasst sie nicht gewähren. Sagt laut eure Meinung.

Ihr seid jung, voller Energie und Ideen. Nutzt das, um gestalterisch tätig zu werden. Die beste Idee taugt nichts, wenn sie eine Idee bleibt. Engagiert euch füreinander, in Vereinen, in sozialen Einrichtungen, für den Frieden. Vergeudet eure Jugend nicht damit, chattend und Ballerspiele spielend vor dem Rechner zu sitzen. Euch steht die Welt offen, ihr müsst nur durch die Tür gehen und sie mit gestalten. Bleibt in dieser aufregenden Zeit nicht passiv!

Liebe Eltern und Familienmitglieder,

Wenn Kinder plötzlich erwachsener werden und in die Welt hinausgehen, ist das nicht immer einfach, ich weiß. Auch für meine Eltern war das schwer, und wir sind oft genug aneinander geraten. Aber sie haben immer versucht, mir ein positives Selbstwertgefühl zu vermitteln. Nichts ist schlimmer, als von vornherein zu stigmatisieren. Du bist wer, du hast viele Talente und aus dir wird ein toller Mensch sollte das Credo sein. Ihr Kind braucht Ihre Unterstützung, auch wenn es das gerade nicht zugibt, und auch wenn es gerade auch für Sie nicht einfach ist. Denken Sie doch einmal zurück, wie Sie waren.  Ich sehe Sie lächeln. Auch ich muss bei dem Blick zurück schmunzeln. Ich war ein schlimmer Teenager, rebellisch, vorlaut, faul. Doch meine Eltern haben mich trotzdem immer geliebt und tun es noch heute. Was du liebst, lass ziehn und es wird zu dir zurück kommen. Lassen Sie Ihre Kinder ihre eigenen Erfahrungen und auch Fehler machen. Sie, liebe Eltern, werden ihnen dabei zur Seite stehen, da bin ich mir sicher. Sie werden sie bei ihrem ersten großen Liebeskummer trösten, sie auffangen, wenn sie ein schlechtes Gewissen haben und sie immer wieder sanft auf den richtigen Weg zurückstupsen. Eben, weil sie sie gerne haben.

 

Und liebe junge Erwachsene, seid nachsichtig mit euren Eltern. Sie verstehen euren Musik- und Modegeschmack nicht. Nebenbei, manchmal macht ihr es uns Erwachsenen auch echt schwer. Die Erwachsenen wissen nicht, wer Alligatoar ist, sie kennen Minecraft nicht und sie werden nie dahinter kommen, was Maulpesto oder ein Augentinitus ist. Seht es ihnen nach. Auch sie hatten, als sie jung waren, Wörter, die keiner verstand.

 

Gegenseitige Nachsicht und Liebe – das sollte die Basis für ein gutes Verhältnis zwischen Teenagern und Erwachsenen sein. Und wenn alle Nachsicht nicht hilft, dann eben dafür umso mehr Liebe.

Ich wünsche euch, liebe fast Erwachsenen, einen  wunderschönen Tag im Kreise eurer Lieben. Lasst euch feiern. Nehmt es Mutti oder Vati nicht übel, wenn sie heute etwas wehmütig sind. Und nehmen Sie es Ihren Kindern nicht übel, wenn sie heute etwas über die Stränge schlagen. Nichts kann den Menschen mehr stärken, als Vertrauen, das man ihm entgegen bringt. Alles Gute zu eurer Jugendweihe.

2016-04-30 12.51.16

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