Das Märchen vom bösen Wolf
Schon seit den Gebrüdern Grimm werden Kindern Märchen erzählt, um Werte und Normen zu vermitteln und um zu erziehen. Wenn jedoch ein politisches Thema zum Erzählen von Märchen genutzt wird, ist es an der Zeit, den Märchenerzähler einmal genauer zu betrachten.
Es war einmal ein Märchenerzähler, der nicht so recht wusste, was er schreiben sollte. Er überlegte und überlegte. Nach drei Stunden fiel ihm ein, dass er letztens etwas von Grünkäppchen gelesen hatte, die den Wolf angegriffen hat. Der Wolf, der eigentlich ein lieber Wolf ist und sich stets für die Bildungspolitik einsetzt, wurde von Grünkäppchen, die eigentlich mit Bildung nichts zu tun hat, sondern in ihrem Korb Umwelt, Blumen und Energie mit sich rumschleppt, kritisiert, weil der Wolf etwas mitträgt, das zwar der Überzeugung des Wolfes, nicht aber der von Grünkäppchen gerecht wird. Längst sind sich Grünkäppchen und der Wolf soweit einig geworden und der Streit ist beigelegt, aber dem Märchenerzähler gefiel die Idee trotzdem. Also machte er aus dem guten Wolf einen bösen Wolf. Das hörte sich doch gleich viel interessanter an.
Unser Märchenerzähler begann eine Geschichte, in der er behauptete, dass der ach so böse Wolf total eingebildet sei und sowieso denkt, dass er der bessere Bildungsminister wäre, der zudem noch Schimpfwörter benutzt im Streit mit Grünkäppchen. Grünkäppchen jedoch war kämpferisch und setzte sich für die Hortner*innen, um die es in diesem Streit ging, ein. Grünkäppchen und ihre Interessen, so dachte sich der Erzähler, könnten vom Wolf gefressen werden. Dass sich der Wolf in Gegenwart und Vergangenheit immer für die Beschäftigten des Bildungssektors stark gemacht hat und ein friedlicher Vegetarier ist, verschwieg der Märchenerzähler. Das hätte nicht zur Boshaftigkeit des Wolfes gepasst. Nun ließ der Erzähler den Streit so ausgehen, dass Grünkäppchen sich durchgesetzt hat und der Wolf, denn er war ja schließlich eingebildet, auch von sich dachte, dass er gewonnen habe.
Leider vergaß unser Märchenerzähler so einiges. Er vergaß, dass man sich, auch als Märchenerzähler, nicht auf diese Art und Weise über Landespolitiker äußern sollte, auch wenn es Grünkäppchen und der Wolf sind. Er vergaß, dass man, indem man die Landespolitiker lächerlich macht und Konflikte stilisiert und hochkocht, die antidemokratischen Kräfte, die braunen Bären, stärkt, die nur darauf warten, das Volk auf ihre Seite zu ziehen und den Wolf mitsamt dem Grünkäppchen zu fressen. Außerdem vergaß er, dass Wölfe Rudeltiere sind, die sich zusammen rotten. Im guten Sinne können sie zusammenarbeiten, um die Bildungspolitik im Lande zu gestalten. Aber wenn sie böse werden, wenn man sie provoziert, umkreisen die Wölfe ihre Beute, bis sie mit ihren scharfen Zähnen irgendwann zuschlagen. Wer hier als Beute gesehen wird, ob es der Märchenerzähler oder das Grünkäppchen ist, kann sich der schlaue Märchenleser nun denken. Und wenn sie sich nicht abgeregt haben, zeigen sie ihre Zähne noch heute.
Ich zumindest gehöre zum Rudel der Wölfe. Eigentlich bin ich eine gute Wölfin, die sich mit dem Oberwolf zusammenrottet und versucht, Einfluss auf die Bildungspolitik zu nehmen. Ich bin aber sehr loyal zu meinem Oberwolf. Ich bewundere das, was er für die Bildung im Lande tut und kann es nicht akzeptieren, wenn Märchen auf dem Rücken eines Themas erzählt werden, welches mit der Betreuung unserer aller Kinder zu tun hat. Ich frage mich, was der Märchenerzähler bezweckt. Vielleicht möchte er mit seiner Debatte ganz andere Lebewesen des politischen „Märchenwaldes“ zum Aufwind verhelfen. Dem roten Fuchs in Jena zum Beispiel. Oder dem schwarzen Raben. Doch darum geht es in diesem Märchen nicht.